Wie man ein abgemagertes Pferd füttert, um das Refeeding-Syndrom zu vermeiden

Ein stark abgemagertes Pferd wieder aufzupäppeln ist kein einfacher Akt von „mehr Futter geben“. Im Gegenteil: Wer zu rasch oder falsch füttert, riskiert den Tod des Tieres.

Das Hauptproblem heißt Refeeding-Syndrom – eine lebensbedrohliche Stoffwechselstörung, die entsteht, wenn ein unterernährtes Pferd plötzlich zu viele leicht verdauliche Kohlenhydrate erhält.

Was genau ist das Refeeding-Syndrom?

Dunkles Pferd trinkt aus weißem Trog auf trockenem Boden im Sonnenlicht

Beim Refeeding-Syndrom (auf Deutsch: „Wiederanfütterungs-Syndrom“) handelt es sich um eine schwere Stoffwechselentgleisung, die durch eine plötzliche Erhöhung der Insulinausschüttung ausgelöst wird

Wenn ein Pferd längere Zeit zu wenig Futter erhält, leert der Körper seine Reserven an Phosphor, Kalium und Magnesium. Sobald plötzlich Energie in Form von Kohlenhydraten aufgenommen wird, schiebt das Insulin diese Mineralstoffe in die Körperzellen – und der Blutspiegel fällt rapide ab.

Die Folgen können dramatisch sein:

  • Muskelschwäche und Zittern
  • Herzrhythmusstörungen
  • Wasseransammlungen (Ödeme)
  • Atemnot
  • neurologische Ausfälle
  • in schweren Fällen Herzstillstand

Eine ausführliche veterinärmedizinische Beschreibung bietet die Publikation.

Laut AAEP tritt der Großteil der Todesfälle in den ersten 5–7 Tagen nach der Rettung auf – meist, weil gutmeinende Helfer zu viel Kraftfutter oder süßes Müsli geben.

Schritt 1: Tierärztliche Untersuchung und Basiswerte

Vor jeder Fütterung muss ein Tierarzt das Pferd untersuchen und Blutwerte erheben.
Laut UC Davis Equine Nutrition Center gehören dazu:

  • Körpergewicht und Body-Condition-Score (BCS)
  • Herzfrequenz, Atmung, Temperatur
  • Hydratationsstatus (Hautfaltentest, Schleimhäute)
  • Blutchemie: Phosphor, Kalium, Magnesium, Calcium, Natrium, Glukose

Bei stark abgemagerten Tieren sollen diese Werte in den ersten Tagen alle 24–48 Stunden kontrolliert werden.

Vor dem Füttern ist es essenziell, Flüssigkeit und Elektrolyte auszugleichen, da der Körper sonst das Futter nicht sicher verarbeiten kann.

Schritt 2: Stabilisierung und Grundversorgung

Ein Pferd in dieser Situation braucht Ruhe, Wärme und Sicherheit.

  • Frisches Wasser rund um die Uhr anbieten.
  • Windgeschützte, trockene Unterbringung, möglichst mit Sichtkontakt zu anderen Pferden.
  • Weiche Einstreu (z. B. Stroh oder Späne) zur Vermeidung von Druckstellen.
  • Noch kein Entwurmen oder Zähnefeilen in den ersten Tagen – das erfolgt erst, wenn der Kreislauf stabil ist.
  • Tägliche Kontrolle von Puls, Atmung, Temperatur.

Eine ausführliche Checkliste bietet auch das Merkblatt „Care of Malnourished Horses“ der Indiana Board of Animal Health.

Schritt 3: Der bewährte Fütterungsplan von UC Davis (Luzerneheu-basiert)

Alfalfaheu (Luzerneheu) liefert hochwertiges Eiweiß, Kalzium und Magnesium bei gleichzeitig niedrigem Zucker- und Stärkegehalt.

Deshalb gilt: Keine Getreidemischungen, keine Pellets, kein Müsli in den ersten zwei Wochen.

Phase Tage Futtermenge & Art Mahlzeiten/Tag Ziel Beobachtung
Initialphase 1–3 0,45 kg Luzerneheu alle 4 Stunden (≈ 2,7 kg/Tag) 6 Verdauung langsam aktivieren Puls, Kot, Appetit
Frühe Aufbauphase 4–6 1,8 kg Luzerneheu alle 8 Stunden (≈ 6 kg/Tag) + ration balancer (RB) 3 Nährstoffversorgung steigern Elektrolyte prüfen
Anpassungsphase 7–10 2–3 Mahlzeiten à 2–3 kg Luzerneheu + (RB) 2–3 Gleichmäßige Energiezufuhr Gewichtskontrolle
Stabilisierungsphase 10–14 Ad-libitum Luzerneheu oder Mischung mit Wiesenheu + RB 2 Muskelaufbau, Fettreserve Keine Futterwechsel
Nach der Refeed-Phase 15+ Optional: ¼ Becher Öl/Tag (z. B. Leinöl) +RB + spezielles Pferdefutter, falls erforderlich→ langsam steigern 2 Energieerhöhung ohne Zucker Weiter Blutwerte prüfen

Warum gerade Luzerneheu?

Zwei Pferde, eines weiß und eines braun, grasen friedlich auf einer leuchtend grünen Wiese unter strahlend blauem Himmel mit vereinzelten weißen Wolken

Laut UC Davis-Studien zeigt Luzerne entscheidende Vorteile:

  • Hoher Lysingehalt – fördert Muskelregeneration
  • Reich an Magnesium und Phosphor – stabilisiert Elektrolytwerte
  • Niedriger Zuckeranteil (NSC) – keine starke Insulinreaktion

Vergleichsstudien der Kentucky Equine Research zeigten, dass Pferde mit Luzerneheu schneller an Kondition zulegen und seltener Verdauungsprobleme entwickeln als solche, die mit Grasheu oder Getreide aufgebaut wurden.

Schritt 4: Ergänzungen und Mineralstoffausgleich

Ergänzung Zweck Anwendung
Phosphor, Kalium, Magnesium Verhindern Muskelschwäche und Herzstörungen Nur nach Blutbefund, über Tierärztin
Thiamin (Vitamin B1) Unterstützt Kohlenhydratverwertung 1–2 mg/kg i.m. oder i.v.
Vitamin E (natürliches α-Tocopherol) Zellschutz, Muskelfunktion 1000–2000 IE täglich
Salz (NaCl) Durst- und Elektrolytausgleich Freier Zugang zu Leckstein
Probiotika / Lebendhefe Fördern Darmflora Erst nach stabilem Appetit

Wie die AAEP-Guidelines betonen, darf man keine handelsüblichen „Elektrolytpasten“ ohne Laborbasis verwenden – sie können die Situation verschlechtern.

Schritt 5: Futter, das man unbedingt meiden muss

  • Kein Getreide, keine Müslimischungen, keine Pellets in den ersten zwei Wochen.
  • Keine Zuckermelasse oder Sirupzusätze.
  • Keine „Energiebooster“ oder eisenhaltigen Tonika.
  • Keine Futterumstellung über Nacht.

Laut UC Davis-Berichten waren fast alle Todesfälle nach der Rettung auf übermäßige Kraftfuttergaben zurückzuführen.

Warnzeichen des Refeeding-Syndroms

Symptom Ursache Maßnahme
Schwellungen an Beinen oder Bauch Eiweißmangel / Elektrolytverschiebung Fütterung verlangsamen, Bluttest
Zittern, Schwäche, Apathie Hypophosphatämie Sofortige tierärztliche Behandlung
Herzrasen, Atemnot Elektrolyt-Kollaps Infusion, Fütterung stoppen
Durchfall, Kolik Darmflora gestört Ration unverändert halten, Flüssigkeit
Appetitverlust Magengeschwür, Stress Magenschutz, tierärztliche Kontrolle

Laut AAEP-Fallanalysen treten erste Anzeichen meist zwischen Tag 2 und 7 auf.

Schritt 6: Langsame Energieerhöhung ab Woche 3

Sobald die Blutwerte stabil sind, der Kreislauf normal arbeitet und das Pferd regelmäßig frisst, kann die Energiezufuhr vorsichtig angehoben werden. In dieser Phase geht es nicht mehr um das Überleben, sondern um den langfristigen Wiederaufbau von Muskulatur, Fettreserven und Stoffwechselstabilität. Das Ziel ist, Energie bereitzustellen, ohne die empfindliche Insulinbalance oder den Verdauungstrakt zu überlasten.

Der sicherste Weg ist die schrittweise Einführung von Fettquellen. Beginne mit einem Esslöffel täglich und erhöhe die Menge über einen Zeitraum von rund 10 Tagen bis auf einen halben Becher pro Tag. Diese langsame Steigerung verhindert, dass der Fettstoffwechsel überfordert wird oder der Kot fettig und unverdaut erscheint.

Wie die Kentucky Equine Research-Studie (KER) zeigt, liefert Fettzufuhr eine sicherere und gleichmäßigere Energiequelle als Stärke, da sie den Blutzuckerspiegel kaum beeinflusst und die Insulinempfindlichkeit des Pferdes stabil hält. Pferde, die in der Aufbauphase Fett statt Getreide erhielten, zeigten signifikant bessere Gewichtszunahmen und weniger Verdauungsstörungen.

Nach drei bis vier Wochen, wenn das Pferd wieder aktiv wird, kann ergänzend ein niedrig-stärkehaltiger Mineralfutter-Balancer (unter 12 % NSC) eingesetzt werden, um essentielle Mikronährstoffe wie Zink, Kupfer und Selen bereitzustellen, ohne eine Insulinreaktion auszulösen. Welche Mischung im Einzelfall passt, hängt vom Heu-Analysewert und vom individuellen Bedarf ab – dein Tierarzt oder eine zertifizierte Pferdeernährungsberaterin kann hier exakte Dosierungen berechnen.

Was weiterhin streng vermieden werden sollte, sind süße Müslis, Getreideflocken oder Melasse-haltige Produkte. Diese können den empfindlichen Stoffwechsel wieder in eine gefährliche Insulinschleife bringen.

Praktische Tipps für den Alltag

Schimmelkopf mit grauer Mähne frisst Heu aus der Box

In der Praxis entscheidet die Konsequenz über den Erfolg. Ein abgemagertes Pferd reagiert empfindlich auf jede Veränderung, daher gilt: Konstanz ist wichtiger als Kalorienmenge.
 Die tägliche Routine sollte klar strukturiert sein – mit festen Fütterungszeiten, ruhiger Umgebung und vertrauten Bezugspersonen.

Füttere lieber mehrere kleine Portionen über den Tag verteilt, statt wenige große Mahlzeiten. Sechs Mini-Fütterungen pro Tag sind ideal, um den Verdauungstrakt in Bewegung zu halten und die Nährstoffaufnahme zu verbessern.
Verwende konsequent dasselbe Heu, möglichst aus einer Partie. Unterschiedliche Ballen oder Sorten führen leicht zu Schwankungen in der Rohfaser- und Zuckerkonzentration, was Koliken oder Durchfall begünstigen kann.

Wiegen statt schätzen – das ist das wichtigste Prinzip bei der Futtermenge. Ein einfaches Feder- oder Kofferwaagesystem reicht, um Heumengen exakt zu bestimmen. Schon 0,5 kg zu viel können in der Anfangszeit problematisch sein.

Hat das Pferd Zahnprobleme oder frisst langsam, sollte das Heu leicht angefeuchtet oder eingeweicht werden. Dadurch wird Staub gebunden und das Kauen fällt leichter.

Bewegung ist erlaubt, aber kontrolliert: keine Weidegänge oder starke körperliche Belastung in den ersten Tagen. Kurze Führgänge auf ebenem Boden reichen aus, um die Muskulatur zu aktivieren, ohne Energieverlust zu riskieren.

Fazit

Die Rehabilitation eines abgemagerten Pferdes ist eine medizinische Maßnahme, keine einfache Fütterung.

Alle renommierten Institutionen – UC Davis, AAEP, KER – stimmen überein:

Langsam beginnen, Luzerne füttern, keine Stärke, Blutwerte regelmäßig prüfen.

  • Woche 1: kleine Portionen alle 4 Stunden.
  • Woche 2: normale Luzerne-Mengen, noch keine Öle.
  • Woche 3+: Energieerhöhung über Fett, niemals über Getreide.

Mit Geduld, sauberem Wasser, ruhiger Umgebung und tierärztlicher Begleitung kann sich ein Pferd in 60–90 Tagen sicher erholen – ohne Komplikationen des Refeeding-Syndroms.

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