Verhaltensänderungen bei tragenden Stuten: was ist normal, was nicht – und wie man helfen kann

Tragende Stuten verhalten sich nicht gleich wie nicht tragende Stuten oder solche in Rosse, und das zu erkennen ist für Züchter und Betreuer entscheidend. Ab dem Moment der Empfängnis bis zur Geburt – im Schnitt nach rund 340 Tagen – folgt das Verhalten einer Stute einem gut vorhersehbaren Muster, das von Hormonen, körperlichen Veränderungen und natürlichen Mutterinstinkten beeinflusst wird.

Im ersten Drittel der Trächtigkeit wird die Stute in der Regel ruhiger und zeigt weniger Rosse-Anzeichen. Im mittleren Abschnitt schläft sie öfter, meidet Konflikte innerhalb der Herde und kann empfindlicher im Bereich von Gurtlage oder Flanken reagieren. Im letzten Drittel verändert sich das Verhalten erneut: die Stuten werden unruhiger, suchen Abgeschiedenheit und zeigen kolikähnliche Bewegungen, wenn die Geburt näher rückt.

Unmittelbar nach dem Abfohlen wechseln fast alle gesunden Stuten in ein stark schützendes, fohlenorientiertes Verhalten, das sich durch Wiehern, Belecken und Bewachen auszeichnet.

Die wichtigste Erkenntnis für Pferdehalter ist laut Sertich (2021): Verhaltensänderungen bei tragenden Stuten sind normal, sie folgen aber klaren Phasen. Ruhigeres Verhalten und weniger Rosse-Anzeichen zu Beginn, zunehmende Eigenständigkeit in der Mitte, Unruhe und Rückzug kurz vor dem Abfohlen sowie ausgeprägte Schutzinstinkte nach der Geburt sind zu erwarten.

Nicht normal hingegen sind anhaltende Aggression gegenüber dem Fohlen, die Verweigerung des Säugens oder Teilnahmslosigkeit und Mattigkeit – das sind Warnsignale, die sofort tierärztlich abgeklärt werden müssen.

Stadien der trächtigen Stute

1. Warum sich das Verhalten verändert?

Drei Hauptfaktoren treiben die meisten Veränderungen an:

1.1. Hormone

In der frühen Trächtigkeit dominiert das Hormon Progesteron, das Rosse-typische Verhaltensweisen beruhigt. Gegen Ende steigen die Östrogenspiegel wieder an, und das Oxytocin steuert Geburt und Mutter-Kind-Bindung. Dieser hormonelle Rahmen erklärt, warum manche Stuten in der Mitte der Trächtigkeit „weniger gesellig“ wirken und kurz vor dem Abfohlen deutlich aufgedrehter sind – wie auch in veterinärmedizinischen Quellen (z. B. Card, 2011) beschrieben.

1.2. Komfort & Schlaf

Die Gewichtszunahme, ein gedehnter Bauch und eine veränderte Wärmeregulation führen dazu, dass tragende Stuten tagsüber mehr ruhen, sich beim Hinlegen anders verhalten oder ihre Vorlieben für Weideaufenthalte ändern – besonders im letzten Drittel. 

Unmittelbar vor dem Abfohlen sind Schweißflecken und Rollen Anzeichen von Uteruskontraktionen und nicht automatisch Kolik, sofern Zeitpunkt und weitere Geburtsanzeichen passen.

1.3. Soziale Prioritäten

Wie Horse Extension betont, meiden viele Stuten gegen Ende der Trächtigkeit das Zentrum der Herde, ziehen sich in ruhigere Ecken zurück und verschieben das Abfohlen oft so lange, bis keine Beobachter mehr anwesend sind – die klassische „Warte-bis-Mitternacht“-Strategie. 

Nach der Geburt verschiebt sich der Fokus sofort auf Schutz und Fürsorge: Wachsamkeit, Wiehern, Belecken und eine rasche Bindung an das Fohlen.

2. Trächtigkeitsdrittel: was man typischerweise beobachtet

Phase Typisches Verhalten Was hilft Normal vs. nicht normal
Empfängnis → Tag 90 Weniger Rosse-Anzeichen; insgesamt ausgeglicheneres Verhalten im Vergleich zu zyklischen Stuten Routinen einfach und beständig halten Plötzliche Aggression ist nicht typisch → Schmerzen, Magengeschwüre oder Stress in der Herde abklären
Tag 90–240 Zunehmende Ruhepausen, weniger Interesse an Rangordnung; gelegentlich „fass meine Flanken nicht an“-Tage Sattelzeug sorgfältig anpassen; ausreichend Platz beim Weidegang; Fütterung in Ruhe und mit Zeit Anhaltende Flankensensibilität oder Gurt-Unverträglichkeit → orthopädische oder Hautprobleme ausschließen
Tag 240–300 Mehr Eigenständigkeit; hält sich vermehrt am Rand der Koppel auf Transporte reduzieren; Herde auf ruhige Begleiter beschränken Deutliche Isolation in Kombination mit Mattigkeit oder Fressunlust ist nicht normal
Tag 300–Geburt (~340) Nächtliches Abfohlen typisch; Unruhe, Umhergehen, Flankenschauen, Rückzug in private Bereiche; kurzzeitige Schweißflecken vor der Geburt Abfohlbereich vorbereiten; ruhige Beobachtung; möglichst wenig eingreifen Andauernd heftiges Wälzen oder Kolik-Anzeichen ohne Fortschreiten der Geburt → sofort Tierarzt rufen

Das Verhalten zur Abfohlzeit ist deutlich: Phase I der Geburt wirkt oft wie eine leichte Kolik – Unruhe, Schweifheben, Flankenschauen, gelegentliches Wälzen. Dies sollte sich jedoch innerhalb weniger Stunden in die aktive Geburt und anschließend die Nachgeburtsabgänge entwickeln.

3. Hormone & Verhalten – eine praktische Verbindung

Hormoneller Kontext Erwartete Verhaltenswirkung Praktische Konsequenz
Hohes Progesteron (Großteil der Trächtigkeit) Dämpft rossetypisches Verhalten („Flirtverhalten“); insgesamt ausgeglichener Die ruhigere Art nicht als „mehr Belastbarkeit“ missverstehen – Leistungsgrenzen respektieren
Ansteigende Östrogene gegen Ende der Trächtigkeit Gesteigerte Sensibilität, Unruhe, selektiverer Sozialkontakt Privatsphäre bieten; neue Reize reduzieren; ruhig und bedacht handeln
Oxytocin bei Geburt & Postpartum Rasche Bindung; starke mütterliche Fokussierung; Schutzverhalten, Wiehern Menschen, Hunde und andere Pferde in den ersten Stunden fernhalten

Diese allgemeinen Effekte stimmen gut mit kontrollierten Beobachtungen der reproduktionsendokrinologischen Forschung bei Stuten und den bekannten Verhaltensmustern während der Rosse überein – auch wenn es zur Trächtigkeit selbst weniger Literatur gibt als zur Zyklusphase.

4. Mütterliches Verhalten nach der Geburt – was normal ist (und warum es wichtig ist)

Ein Pferd mit ihrem Fohlen in einer grünen Wiese

Eine gesunde Stute steht nach der Geburt auf, orientiert sich am Fohlen, beschnuppert, beleckt und ruft es, bevor sie es eng bewacht und gleichzeitig regelmäßiges Säugen zulässt. Die ersten 24-36 Stunden stellen ein sensibles Zeitfenster für die Bindung dar; unnötige Störungen können die Akzeptanz beeinträchtigen. Ab dem zweiten bis dritten Tag sind die meisten Stuten fest auf ihr eigenes Fohlen „fixiert“ und lehnen andere Fohlen konsequent ab, wie auch Crowell-Davis et al. haben gesagt.

4.1. Auffällige Verhaltensmuster, die man kennen sollte

Grogan et al. (2005) sagen: Verweigerung des Säugens (die Stute lässt das Fohlen nicht trinken), Angst vor dem Fohlen, Ambivalenz oder gar Aggression gegenüber dem Fohlen als klinisch relevante Kategorien.

Frühzeitige, ruhige Intervention sowie ein behutsames Gewöhnen an das Anfassen des Euters während der späten Trächtigkeit verringern das Risiko solcher Probleme erheblich.

5. Weniger häufig, aber real: „Hengstähnliches“ Verhalten

Ein kleiner Teil der tragenden Stuten zeigt gelegentlich männertypisches Verhalten – etwa das Anblöken („Teasing“) oder gar das Aufspringen auf andere Stuten.

Es ist zwar selten, aber wissenschaftlich dokumentiert und spiegelt vermutlich vorübergehende hormonelle Konstellationen wider und nicht „schlechte Manieren“.

Für die Praxis bedeutet das: Stute in sicheren Weidegruppen halten und Konfrontationen nicht eskalieren lassen.

6. Herdenmanagement, das das Verhalten verbessert

Ein Pferd grast friedlich auf einer Wiese

6.1. Platz und passende Gesellschaft

Überfüllte Weiden verstärken Ressourcenverteidigung und Rempeleien – Probleme, die eine hochträchtige Stute nicht toleriert. Geben Sie ihr genügend Freiraum und trennen Sie sie in den letzten Wochen von dominanten oder ruppigen Herdenmitgliedern, falls nötig.

6.2. Verlässliche Routine

Ruhige, wiederkehrende Abläufe dämpfen Stressreaktionen. Leichte, gleichmäßige Arbeit ist erlaubt, große Veränderungen bei Koppeln, Gruppen oder Tagesabläufen sollten kurz vor dem Abfohlen vermieden werden.

6.3. Abfohlplatz rechtzeitig vorbereiten

Bringen Sie die Stute 3–4 Wochen vor dem errechneten Termin in ihre Abfohlbox oder den Abfohlpaddock. So kann sie sich an die dortige Keimflora anpassen; die Antikörper im Kolostrum sind dadurch gezielter. Gleichzeitig ist sie in vertrauter Umgebung ruhiger. Verwenden Sie sauberes Stroh und halten Sie den Durchgangsverkehr so gering wie möglich.

6.4. Euter rechtzeitig behutsam gewöhnen

Gerade bei erstgebärenden Stuten empfiehlt es sich, das sanfte Anfassen von Euter und Hinterhand bereits Wochen vor dem Abfohlen einzuüben. Diese einfache Maßnahme reduziert das Risiko von Saugverweigerung oder Aggression gegenüber dem Fohlen deutlich, wie auch die University of Minnesota Extension bestätigt.

7. Anzeichen im Vorfeld des Abfohlens: Verhalten + Körperliche Signale

Kategorie Was man beobachtet Typisches Timing*
Suche nach Abgeschiedenheit Verlässt das Zentrum der Herde, sucht Ecken oder ruhige Paddocks auf Letzte Woche(n) vor der Geburt
Unruhe Umhergehen, Schweifheben, Flankenschauen, häufiges Aufstehen und Hinlegen Stunden vor der Geburt
Schweißflecken An Flanken oder hinter den Ellbogen, ohne Hitze oder Bewegung Stunden vor der Geburt
Nächtliche Tendenz Abfohlen erfolgt häufig zwischen Mitternacht und 6 Uhr früh Am Tag des Abfohlens
Bindungsverhalten Wiehern, Belecken, Bewachen des Fohlens Erste Stunden nach der Geburt
* Zeitpunkte sind Richtwerte und können individuell variieren.

8. Sicherheit & Umgang: Profi-Tipps für Menschen

  • Klug arbeiten, nicht mutig sein. Stuten im Spätstadium der Trächtigkeit können die Hinterhand schwingen oder sich fest hinstellen, wenn sie sich unwohl fühlen. Bieten Sie sanfte Seitwärtsbewegungen an, geben Sie Pausen und klemmen Sie die Stute niemals gegen die Wand.
  • Hunde und Zuschauer fernhalten. Ein ausgeprägtes Verteidigungsverhalten in den ersten Stunden nach der Geburt ist völlig normal. Reduzieren Sie Reize, damit die Stute eine ungestörte Bindung zum Fohlen aufbauen kann – so auch die Empfehlung von Merck Animal Health USA.
  • Transport nur wenn unbedingt nötig. In den letzten Trächtigkeitswochen sollte Transport möglichst vermieden werden. Ist er unumgänglich, wählen Sie kurze, ruhige Fahrten und stellen Sie sicher, dass die Stute am Zielort rechtzeitig und vor der Geburt zur Ruhe kommt.

9. Ernährung & Komfort (das Verhalten folgt dem Körper)

Eine Person hält eine digitale Waage in der Hand

Eine gute Fütterung sorgt nicht nur für das Wachstum des Fohlens, sondern reduziert auch Reizbarkeit durch Hunger, Magenprobleme oder Hitzestress.

  • Körperkondition: der Body Condition Score (BCS) zum Abfohlen zwischen 6,5 und max. 7,5 . Zu dünne oder übergewichtige Stuten haben größere Schwierigkeiten mit der Wärmeregulation und zeigen häufiger Unruhe durch körperliches Unbehagen.
  • Raufutter zuerst: Häufige Raufuttergaben beruhigen sowohl den Verdauungstrakt als auch den Geist.
  • Elektrolyte & Wasser: Flüssigkeitsmangel verstärkt die Unruhe kurz vor dem Abfohlen. Achten Sie auf ständigen Zugang zu sauberem, lauwarmem Wasser, insbesondere im Winter.

10. Postpartum: wenn Verhalten ein Warnsignal ist

Verhalten Warum es bedenklich ist Was zu tun ist
Anhaltende Aggression gegenüber dem Fohlen Abnormales mütterliches Verhalten; Verletzungsgefahr für das Fohlen Mit sicherer Barriere trennen; Tierarzt rufen; kontrollierte Wiederzusammenführung; evtl. leichte Sedierung und unterstütztes Säugen nach tierärztlicher Anweisung
Teilnahmslosigkeit, kein Interesse am Fohlen Schmerzen, Metritis, Nachgeburtsverhaltung, Hypokalzämie Sofort tierärztliche Untersuchung
Kolikähnliche Symptome nach dem Abfohlen Gebärmutterriss, Blutung im breiten Band, Verlagerung des Dickdarms Sofort tierärztliche Untersuchung
Kein Säugen innerhalb von 2 Stunden Risiko des Scheiterns der passiven Immunübertragung (Fohlen bekommt kein Kolostrum) Milch abmelken, Kolostrum per Flasche oder Nasenschlundsonde verabreichen; tierärztlichen Plan befolgen

11. Anhang: Überblickstabellen

A) Normale vs. bedenkliche Verhaltensweisen (Spätträchtigkeit → 48h nach dem Abfohlen)

Verhalten Wahrscheinliche Bedeutung Normal? Handlung
Sucht ruhige Ecken, entfernt sich von der Herde Bedürfnis nach Privatsphäre Ja Bereich mit wenig Durchgangsverkehr bereitstellen
Unruhe, Flankenschauen, kurzzeitige Schweißflecken Eröffnungsphase (Phase I) Ja (bei erkennbarem Fortschritt) Ruhig beobachten, Abfohlset bereithalten
Gelegentliches Wälzen vor dem Abfohlen Neuorientierung des Fetus Ja (gelegentlich) Verlauf beobachten; Tierarzt rufen, wenn anhaltend oder ohne Fortschritt
Wiehern, Belecken, Bewachen des Fohlens Gesunde Bindung Ja Besucher und Hunde fernhalten
Lässt kein Säugen zu, tritt nach dem Fohlen Saugverweigerung / Aggression Nein Sicher trennen; tierärztliche Anleitung; evtl. unterstütztes Säugen
Teilnahmslosigkeit, ignoriert das Fohlen Systemische Erkrankung / Schmerzen Nein Sofortige tierärztliche Untersuchung

B) Hormone und Verhalten (praktischer Spickzettel)

Zeitpunkt Dominierende Hormone Typisches Verhalten Management
Frühe bis mittlere Trächtigkeit Progesteron Ruhigere Rosse-Anzeichen Routine beibehalten; nicht überlasten
Vor dem Abfohlen Anstieg von Östrogen; später Prostaglandine und Oxytocin Unruhe, erhöhte Wachsamkeit Privatsphäre bieten, gedämpftes Licht, möglichst wenige Personen im Umgang
Nach dem Abfohlen Oxytocin-Schub Intensive Bindung / Schutzverhalten Umgebung ruhig halten; nur eingreifen, wenn nötig

Fazit

Die meisten Verhaltensänderungen bei tragenden Stuten folgen einer klaren Logik: Energie sparen, Konflikten aus dem Weg gehen, Abgeschiedenheit für die Geburt suchen – und danach in den beschützenden, fürsorglichen Fokus wechseln.

Gestalten Sie die Umgebung entsprechend diesen Instinkten – mit ausreichend Platz, verlässlicher Routine, Privatsphäre und sanftem Umgang – und Sie erleben eine selbstbewusste Mutterstute sowie ein sichereres, ruhigeres Abfohlen.

Weicht das Verhalten jedoch vom typischen Muster ab – etwa durch anhaltende Aggression gegenüber dem Fohlen, extreme Isolation mit Teilnahmslosigkeit oder kolikähnliche Symptome ohne Geburtsfortschritt – muss dies als klinischer Notfall betrachtet und sofort tierärztlich abgeklärt werden.

Quellen & weiterführende Literatur

  • Sertich, P. L. (2021). Parturition in Horses
    https://www.merckvetmanual.com/management-and-nutrition/management-of-reproduction-horses/parturition-in-horses
  • Merck Animal Health USA – Broodmare: Labor
    https://www.merck-animal-health-usa.com/species/equine/equine-health-library/broodmare-life-stage/broodmare-labor
  • Card, C. (2011). Hormonal Management of Mares (Proceedings)
    https://www.dvm360.com/view/hormonal-management-mares-proceedings
  • Horse Extension (US Cooperative Extension) – Horse Behavior at Foaling Time
    https://horses.extension.org/horse-behavior-at-foaling-time
  • University of Minnesota Extension – Caring for Your Mare During Breeding and Foaling
    https://extension.umn.edu/horse-health/caring-your-mare-during-breeding-and-foaling
  • Crowell-Davis, S. L., Houpt, K. A. (1985).  Maternal Behavior
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/3492245/
  • Grogan, W. H., McDonnell, S. M. (2005). Maternal Behavior of Belgian (Equus caballus) Mares
    https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1534751605000685
  • Oklahoma State University Extension – Foaling Management and Care of the Nursing Foal
    https://extension.okstate.edu/fact-sheets/foaling-management-and-care-of-the-nursing-foal.html
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